Raus aus der Komfortzone!

Musik

,

Die «Zuger Sessions» gehen in die zweite Runde. Das Projekt wirft Zuger Musiker*innen ins kalte Wasser. Sie werden nicht nur gezwungen, sich auf andere Sparten einzulassen, sondern auch, Nägel mit Köpfen zu machen.

  • Jasmin Lötscher bei einer der Zuger Sessions. (Bilder: Philippe Hubler)
    Jasmin Lötscher bei einer der Zuger Sessions. (Bilder: Philippe Hubler)
  • Andreas Schwendener (Gitarre) und Samuel Büttiker (Drums) bilden mit Lötscher eine Band für zwei Tage.
    Andreas Schwendener (Gitarre) und Samuel Büttiker (Drums) bilden mit Lötscher eine Band für zwei Tage.
  • Rafael Casaulta und Björn Bredehöft führen die Zuger Sessions durch.
    Rafael Casaulta und Björn Bredehöft führen die Zuger Sessions durch.
Zug (Kanton) – Dieser Text ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

«Von mir aus darf es etwas weniger sein», sagt Jasmin Lötscher. «Es darf wie ein Singen klingen», befindet die Zuger Musikerin, an Andreas Schwendener gewandt. Dieser nickt, setzt seine Kopfhörer auf, aus denen Schlagzeug und Gesang tönen, und improvisiert auf der E-Gitarre eine Begleitung dazu. Samuel Büttiker, der in der Ecke am Schlagzeug sitzt, nickt anerkennend.
Weniger bluesig klingt Schwendeners Begleitung nun, mit langgezogenen Tönen füllt er die Lücken zwischen Lötschers jazzig anmutendem Gesang, verziert ihre Pausen, stoppt und hört sich das Feedback der Einzelnen an.
Wir befinden uns im Kulturzentrum Galvanik. Während draussen die Sonne den Zugern 
Beine macht und sie in Horden ans Seeufer treibt, verziehen wir uns in die wohlige Dunkelheit des Konzertsaals, in dem es mindestens genauso warm ist wie draussen. Kein Wunder, denn hier wird geschuftet.
Der aktuell schwer unterbeschäftigte Konzertsaal dient momentan als lauschiges Tonstudio für ein aufregendes Projekt. Was wir hier erleben, ist nichts Geringeres als die Geburtsstunde eines neuen Liedes einer neuen, flüchtigen Band. Wir sind nämlich live dabei bei der zweiten von sechs «Zuger Sessions», wie uns ein grosser LED-Schriftzug an der Wand verdeutlicht. Die drei Musiker*innen sitzen auf einem roten Teppich, sind umgeben von diversen Instrumenten, einigen künstlichen Pflanzen und schummrigem Licht. Mit ihnen im Raum sind Rafael Casaulta und Björn Bredehöft, die Begründer der Zuger Sessions, welche nun nach einer ersten Ausgabe im Jahr 2016 in die zweite Runde gehen. Dies mit einem etwas anderen, mutigeren Konzept.

Band für zwei Tage
Denn dieses Mal sind es nicht bestehende Bands, die sich während eines Wochenendes ins Studio zurückziehen, um dort einen Song von A bis Z zu produzieren, sondern Zuger Musikschaffende verschiedenster Sparten, die bisher so gut wie nichts miteinander zu tun hatten. «Da beginnt man wirklich bei null, nämlich beim gegenseitigen Kennenlernen», sagt Bredehöft. Das Lied, das sie innert zwei Tagen aus dem Boden stampfen, bleibt natürlich nicht in den sicheren Mauern des Ad-hoc-Tonstudios, sondern gelangt, nachdem es von Tontechniker Bredehöft bearbeitet worden ist, an die Öffentlichkeit.
Gleichzeitig bereitet Rafael Casaulta den Ent­stehungsprozess des Liedes filmtechnisch auf. Denn was hinter den Kulissen der Zuger Sessions passiert, ist mindestens genauso spannend wie das musikalische Resultat.

Sprung ins kalte Wasser
«Für uns alle sind die Zuger Sessions eine Ausnahmesituation. Dies insofern, dass ein einziges Wochenende sehr wenig Zeit ist, um ein Lied zu entwickeln und aufzunehmen», sagt Bredehöft. «Ausserdem wagen alle Musiker*innen einen Sprung ins kalte Wasser, da sie mit Leuten arbeiten, die sie kaum kennen und die aus 
verschiedensten musikalischen Stilrichtungen kommen.»
Je nachdem, ob die Musiker*innen den klassischen Hochschulweg hinter sich haben oder seit 20 Jahren in einer Punkrock-Band Gitarre spielen, unterscheiden sich demnach auch die Herangehensweisen grundlegend.
«Jemand, der klassische Musik studiert hat, setzt sich zu Beginn wohl eher mit einem Notenblatt hin und beginnt so, einen Song zu 
arrangieren. Dieses Mal war es hingegen so, dass die Musiker*innen zuerst gemeinsam gejammt haben. Aus diesem ersten 28-Minuten-Take 
haben wir Teile entnommen, die nach und nach zu einem Song wurden», erklärt Casaulta.
Die Melodie ist das eine. Wie jedoch verhält es sich mit dem Text? «Auch da arbeiten alle Teilnehmer sehr unterschiedlich. Bei der letzten Session war etwa der Rapper Tomahawk dabei. Er hat sich kurz im Raum umgeschaut und spontan begonnen, einen Text zu schreiben. Der hat das richtig gut gemacht.» Im aktuellen Fall habe ein schweizerdeutsches Gedicht von Jasmin Lötscher als Grundlage für die Strophen 
gedient. Während der Produktion zog sich die Sängerin zurück und schrieb den passenden 
Refrain.
Bewusst stellen sich Casaulta und Bredehöft beim Entstehungsprozess in den Hintergrund, primär sollen die Musiker*innen darüber entscheiden, wie sich ein Song letztlich anhört.
Wenn ein neues Team mit sehr unterschied­lichen Herangehensweisen in Windeseile einen Song zusammen produziert, gibt es da nicht auch mal Zoff? Casaulta sagt dazu: «Im Gegenteil. Ich bin überrascht, wie gut die Vibes unter den Teilnehmern sind.»
Der Einblick in die Liedproduktion bestätigt diesen Eindruck. Die Teilnehmer hören sich aufmerksam zu, geben konstruktives Feedback, der Respekt für die gegenseitigen Talente scheint gross zu sein.
Gleichzeitig scheuen sich Produzenten und Musiker*innen nicht, klar zu kommunizieren. Für etwas anderes wäre gar keine Zeit.

Gute Art des Nicht-Schlafen-Könnens
Sowohl für Musiker wie auch für Produzenten sind es intensive zwei Tage. Bredehöft sagt: «Wir haben gestern zwar nur bis 22.30 Uhr gearbeitet, doch habe ich in der Nacht kaum ein Auge zugemacht. So sehr war ich noch im Studio mit den Gedanken. Das macht jedoch nichts. Es war eine gute Art des Nicht-Schlafen-Könnens.»

Viel Aufwand für die Zuger Sessions
Für die Nachbereitung des Songs rechnet Bredehöft mit zwei bis drei Tagen, daraufhin muss der Tontechniker den Song an die wichtigsten Kanäle wie Spotify und iTunes bringen.
Bedenkt man, dass während der Zuger Sessions, Volume 2, bis im Herbst insgesamt sechs Lieder entstehen mit verschiedensten Musikern, lässt sich erahnen, wie viel Aufwand hinter dem Projekt steckt.
«Aus diesem Grund zögerte ich erst, als mich Rafael angefragt hat für ein Volume 2. Das erste Projekt, das 2016 über die Bühne ging, war unglaublich viel Arbeit», so Bredehöft. «Nun, da wir zu zweit sind, können wir uns die Arbeit 
aufteilen.»
Tatsächlich handle es sich bei der zweiten Ausgabe der Zuger Sessions auch um ein Kind der Corona-Krise. Musikschaffende haben leere Agenden und damit auch Zeit für solche Experimente. «Ausserdem ist das Projekt auch mit den aktuell strengen Corona-Massnahmen gut umsetzbar. Während der Sessions sind höchstens acht Personen anwesend», so der Tontechniker.

Musiker*innen zusammenbringen
Nicht zuletzt dienen die Sessions der Horizonterweiterung, finden die Projektverantwortlichen. «Ziel der Sache ist es, dass man Musiker*innen zusammenbringt, die sonst kaum miteinander zu tun hätten. Ein Arbeiten ausserhalb der Komfortzone, in einem inspirierenden, bestärkenden Setting», sagt Casaulta. «Indem verschiedene Stile aufeinandertreffen, kann Neues geschaffen werden. Dass etwa Jazz, Rock und Hip-Hop aufeinandertreffen, ist ansonsten selten», ergänzt Bredehöft.
Wir hören uns den noch unfertigen Song von Lötscher, Schwendener und Büttiker einmal ganz an. Tatsächlich ist es schwierig, ihn genretechnisch irgendwo zu beheimaten. Sprechgesang trifft auf Jazz, auf harte Gitarrenriffs, auf Synthesizer-Klänge. Was wir hören, ist dennoch vielversprechend. Wer braucht da schon eine Komfortzone?

(Text: Valeria Wieser)