Ekelhaft schöne Ideen

Kunst & Baukultur

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Sie jagt Einhörner und zerschnipselte Banknoten. Die Künstlerin Sam Heller macht gerne Kunst, die an die Existenz geht. Oder darüber hinaus.

  • Sam Heller in ihrem Atelier. Bild: Philippe Hubler.
    Sam Heller in ihrem Atelier. Bild: Philippe Hubler.
  • Gesammelte Seelen.
    Gesammelte Seelen.
  • Sexualisiertes Spielzeug und Kunst - ein Kernthema von Sam Heller.
    Sexualisiertes Spielzeug und Kunst - ein Kernthema von Sam Heller.
Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Es ist spät geworden, an einem Abend, vor rund zehn Jahren, in Sam Hellers Wohnzimmer. Ein letztes Bier wollte der Typ. Sam Heller brachte es ihm. Und wollte dafür nichts, ausser seiner Seele. Selbstverständlich mit einem Vertrag und mehreren Sicherheitsklauseln. Das muss schon alles seine Richtigkeit haben, bei so einem prekären Handel.
März 2020: Die Zuger Künstlerin Sam Heller eröffnete ihre erste Einzelausstellung in der Goldschmiede Lufran. Es sind sehr viele und sehr wenige Leute gekommen. «Mehr als ich erwartete», sagt Heller, «und weniger, als ohne die Angst vor dem Virus gekommen wären.» Das grassierende Virus sorgt dann auch dafür, dass ein paar Tage später ihre erste Einzelausstellung wieder geschlossen wird. Auf unbestimmte Zeit, aber mit garantierter Verlängerung. Trotzdem soll man die Ausstellung sehen können. Als Führungen auf dem Instagram-Channel von Heller. Oder hier, in diesem Text, im eigenen Kopf: eine persönliche kurze Führung durch die Ausstellung.

Die Goldschmiede Lufran in Baar ist zwar ein kleiner Raum, aber gerade gross genug, dass es Sam Heller schwer fällt, den Platz einzuschätzen. Entlang der Wände sind unter anderem Fotografien, Collagen und ein Einhornkopf aufgehängt. Gleich am Eingang der Goldschmiede, auf dem Boden, steht ein Glaskubus mit Sam Hellers gesammelten Seelen. Seit dem Abend damals beim Bier sind einige hinzugekommen. Sie stecken in edlen Dosen, abgewetzten Büchsen, in einer Schatzkiste und eine Seele steckt in einer Tupperware-Dose. «Die Person wollte das explizit so», erklärt Heller mit einem Schulterzucken in der Stimme.

«Das wird eher nichts»
Das Seelensammeln war kein Startschuss für ­irgendetwas, Heller hat bereits davor Kunst gemacht, weil sie «musste», sagt sie. Dabei haben ihre Heimerzieher schon davon abgeraten. «Das wird eher nichts», hätten sie orakelt. Sam Heller liess sich von solchem Geunke nur teilweise beeindrucken. Die Schreinerlehre machte sie, um dem Heim zu entkommen. Produkt-Design studierte sie, weil Freie Künste vielleicht doch zu brotlos schien. Heute bereut sie das manchmal.
 
Wie die Idee zur Kunst wird
Das Seelensammeln war eher ein Wendepunkt, sagt Heller heute. Als sie nämlich an diesem Abend damals alleine mit einer zweiten Seele in ihrem Wohnzimmer zurückblieb, blieb etwas hängen. «Es war erst nur eine Schnapsidee», erzählt Heller. «Aber jedes Mal, wenn ich seither auch nur versucht habe, eine Seele von jemandem zu bekommen, hatte ich am  Ende zumindest ein wunderbares Gespräch.» Aus der «Schnapsidee», wie es Heller nennt, wurde in den nächsten Wochen Kunst.
Über dem Glaskubus mit den Seelen hängen Collagen aus alten Landkarten, Zeitungsausschnitten aus der Mitte des letzten Jahrhunderts und Banknotenschnipseln von Euros und Franken. Gebrauchspapier auf einem Haufen. Sam Heller kam die Idee dazu, als sie auf dem Dachboden des Kunstmuseums aufräumen wollte. Ein bisschen wie beim Seelensammeln: eine kurze Idee im Augenblick. Und das Nachdenken machte sie zur Kunst.

Schöner Schimmel
Weiter vorne hängen Fotografien von Schimmelpilzen. Liebevolle Nahaufnahmen, die den Betrachter vergessen lassen, dass der flauschige Plüschpunkt eine gesunde Zitrone gerade zu einem Stück Gift verwandelt hat. «Mir gefallen die Zerfallspuren daran», sagt Heller.
Passend dazu hängen etwas weiter kleine Drucke auf Holz. Bei einem ihrer «sieben Jobs» hat Sam Heller in der Zuwebe gearbeitet und dort Holz entdeckt, das vom Buchdrucker zerfressen war. Unter Schreinerinnen ist klar: Das Holz ist nutzlos. Eigentlich. Doch gerade deshalb hat Heller es nach Hause genommen und die Frassspuren auf neues Holz gedruckt. «Es ist immer schön, wenn man im Schlechten etwas Gutes findet», sagt Heller und entschuldigt sich, dass das so kitschig klingt.

Kein Kitsch!
Man sollte Sam Heller nicht ungestraft Kitsch vorwerfen. Mit siebzehn hat sie Watzlavick gelesen, ein radikaler Konstruktivist, der sagt, dass alles, was wir erleben, erst in unserem Kopf entsteht. Sam Heller fand das befreiend, Ideen bekamen einen neuen Stellenwert. Etwas später las sie Kafka, der Autor, der seine Leser gerne mit der Absurdität menschlicher Sinnsuche alleine lässt. «Ich mag diesen Humor», sagt Sam Heller darüber, im vollen Bewusstsein, dass ­Kafka wohl keine Comedy schreiben wollte. ­Obwohl, vielleicht ist Kafka auch lustiger als ­gedacht? Verklausulierte Verträge über Seelenhandel hätten dem Schriftsteller bestimmt gefallen.
Nein, Kitsch darf man Sam Heller nicht vorwerfen.
Sam Heller hat übrigens nicht wirklich sieben Jobs. «Eher vier», aber das sei gar nicht schlecht. «Nur in der Kunstblase abzuhängen ist für Künstler nicht sehr gesund.» Auch so atmet Sam Heller selber aber schon genug Kunst­blasenluft. Ihr Atelier hat sie mit der Atelier­gemeinschaft Atelier63 zusammen, und sie ­kuratiert mehrere Ausstellungen. Sie macht Führungen, bei denen sie beispielsweise GIBZ-Schülern versucht zu vermitteln, dass Kunst gar nicht «so ein elitärer Kack» ist, und sie hält manchmal Vorträge.

Nichts nur wegen der Schönheit
Das Künstlerleben ist kein Postkartenmotiv. Manchmal überlegt sie sich, wieso sie nicht einfach Hausfrau geworden ist. Dann denkt sie aber nach, lacht über sich und merkt, dass das schon alles gut so ist.
Eines der letzten Objekte in der Ausstellung ist der weisse Schädel des letzten Einhorns. Früher, als es noch mehr Einhörner gab, standen diese Tiere für «die befruchtende Kraft des Schwertes», was sich verdächtig nach männlichem Geschlechtsteil-Stolz anhört. Vielleicht darum hat Heller beschlossen, das letzte Einhorn zu jagen und es an ihre Atelierwand zu nageln. Nur wegen der Schönheit wird sie es nicht gemacht haben. Genaueres muss man sie selber fragen. Keine Angst: Im schlimmsten Fall kostet es bloss eure Seele.


(Text: Lionel Hausheer)