Die Königin der Instrumente

Musik

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Die Zuger Orgeln müssen häufiger bespielt werden, befand Olivier Eisenmann und rief 1983 kurzerhand die Internationalen Zuger Orgeltage ins Leben. Denn er findet: Der Orgel wird Unrecht getan.

  • Die Orgel soll gespielt werden: Olivier Eisenmann an seinem Instrument in der Kirche Bruder Klaus in Oberwil. (Bilder: Nora Nussbaumer)
    Die Orgel soll gespielt werden: Olivier Eisenmann an seinem Instrument in der Kirche Bruder Klaus in Oberwil. (Bilder: Nora Nussbaumer)
  • Und vor der Kirche: Olivier Eisenmann.
    Und vor der Kirche: Olivier Eisenmann.
Oberwil b. Zug – Dieser Text ist in der November-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.

Olivier Eisenmann hat schon auf den bekanntesten Orgeln dieser Welt gespielt. Auf jener deutsch-romantischen in der päpstlichen Marienbasilika in Kevelaer etwa, ihres Zeichens «die grösste katholische Kirchenorgel Deutschlands», aber auch in der Pariser Notre-Dame-Kirche sowie auf der Orgel der Saint Paul’s Cathedral in London.

Die internationalen Zuger Orgeltage
Schon während seiner Gymnasialzeit sowie in den Sechzigerjahren war Eisenmann pianistisch tätig und spielte regelmässig auch Klavierkompositionen für Uraufnahmen in Radiostudios ein. «Das Verlangen, mich vertieft mit der Orgel zu beschäftigen, hatte ich während meiner Nebenbeschäftigung als Rezensent, als ich grossartige Orgelkonzerte in der Hofkirche Luzern besuchte und dabei auch meinem späteren Lehrer Eduard Kaufmann zuhörte», erzählt der Konzertorganist bei Kaffee und Kuchen. «Dies, nachdem ich seit meiner Kindheit Klavierunterricht gehabt hatte – erst bei meinem Vater, dem Komponisten Will Eisenmann, später am Konservatorium in Luzern.» Heute, fast 60 Jahre später, ist die Begeisterung für die «Königin der Instrumente», wie er die Orgel nennt, kein bisschen abgeflaut.

Und so organisiert Eisenmann auch dieses Jahr, den pandemischen Umständen zum Trotz, zum 38.  Mal die Internationalen Zuger Orgeltage. Auch wenn diese vom Frühling in den Herbst verschoben wurden. Das Festival startete Ende September und dauert bis Mitte November.
«Die Orgel ist das einzige Instrument, mit dem Sie ein Orchester imitieren können», erzählt der Luzerner. «Und doch hat jede einzelne Orgel ihre spezifischen Eigenheiten.» Das beginnt bei der Anzahl der Register und hört beim Raum auf, der für mehr oder weniger Hall sorgt und
damit auch mitentscheidet, welche Stücke überhaupt auf einer bestimmten Orgel gespielt werden können. «In den Münstern von Bonn und Ulm etwa gibt es einen Nachhall von zehn Sekunden. Da ist es schwierig, Werke von beispielsweise Max Reger mit der erforderlichen Klangtransparenz auszuführen», sagt Eisenmann.

Zwischen Schulstunden auf Tour
Wenn der Konzertorganist über sein Instrument spricht, tut er das mit grossem Eifer. Dennoch hat Olivier Eisenmann seine Passion nie zum einzigen Beruf gemacht. An der Universität Zürich studierte er Allgemeine und Schweizer Geschichte sowie Deutsche Literatur. c
«Ich absolvierte gleich das Doktorat, ohne Umweg übers Lizienziat», erzählt er. Bevor er an der Kantonsschule Zug als Geschichtslehrer zu wirken begann, arbeitete Eisenmann als Inlandredaktor bei den «Luzerner Neuesten Nachrichten». «Das Unterrichten kam mir sehr gelegen. Als Journalist hat man wenig Zeit, um nebenbei herumzureisen und Konzerte zu spielen. An der Kantonsschule jedoch unterrichtete ich nur an drei bis vier Tagen, während der restlichen Zeit war ich als Konzertorganist in ganz Europa unterwegs», sagt Eisenmann. «So führte mich seit 1977 jeden Sommer eine mehrwöchige Tournee nach Skandinavien.» Er denkt kurz nach und sagt: «Ich glaube, das hat auch den Schülern gutgetan. Zu sehen, dass ein Lehrer auch noch anderes tut, als zu unterrichten.»

Orgeln kaum genutzt
Einer der Gründe, warum Eisenmann die Zuger Orgeltage 1983 ins Leben rief: «Die hiesigen
Orgeln wurden kaum genutzt. Das wollte ich ändern, indem ich Konzerte in verschiedenen Kirchen organisierte. Ausserdem wollte ich dem Zuger Publikum etwas Neues bieten als die immer gleichen Barockwerke wie etwa die epidemische Toccata.» Sogleich singt er die ersten Töne aus Bachs populärem Orgelwerk vor.
Diesem Grundsatz ist der Organisator bis heute treu geblieben. Zum Festival lädt Eisenmann internationale Gäste ein, dieses Jahr etwa aus Deutschland, Estland, Italien, Polen und Finnland. «Ein Drittel der gespielten Musik muss aus deren geografischer Umgebung stammen», so die Prämisse. Auch der Improvisation räumt Eisenmann gebührend Platz ein.

Zugang verschaffen
Für jedes der gespielten Werke schreibt Eisenmann eine kurze Analyse, was dem Publikum den Zugang erleichtern soll.
Auch wenn es sich bei den Besuchern der Orgeltage vorwiegend um ein orgelaffines Stamm­publikum handle, so dürften alle Gäste doch froh sein über diese Werkanalysen. Gerade weil eben auch unbekanntere Kompositionen gespielt werden.
Grundsätzlich steht Orgelmusik nicht im Ruf, besonders leicht verdaulich zu sein. Der Vorwurf des Klangschwalls will Eisenmann jedoch so nicht gelten lassen. «Schaut man sich eine Beethoven-Symphonie an, ist die mindestens genauso kompliziert.» Doch gibt er zu, dass für viele Jugendliche die konzertante Orgelmusik häufig assoziiert wird mit jener zur Gestaltung von Gottesdiensten. Das sei jedoch nicht überall so. «Interessanterweise gibt es etwa in Italien viel mehr junge Menschen, die sich Orgelkonzerte anhören.»

Lieblingsorgel? Alle!
Welche ist denn Eisenmanns Lieblingsorgel? Eine Frage, die offenbar nicht einfach zu beantworten ist. «Es gibt viele verschiedene Typen von Orgeln, die nicht miteinander vergleichbar sind. Ich mag Orgeln der romantischen Stil­epoche, welche eine Vielzahl an Registern aufweisen. Also etwa jene in Kevelaer. Auch die Orgeln in den Kathedralen von Chester und
Passau sind wunderbar! Darauf zu spielen, macht grossen Spass.»
Eine von Eisenmanns grossen Passionen ist die Suche nach unbekannten Werken. «Meine Partnerin Verena Steffen ist Flötistin, deshalb bin ich immer auf der Suche nach Kompositionen für Orgel und Flöte. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, sind doch solche Werke aus der Epoche der Romantik eher selten.» Ausserdem beauftragte Eisenmann in mehreren Ländern Komponisten, für sich und seine Partnerin Duo- und Solowerke zu schaffen.

Abstand in der Kirche kein Problem
Während es die meisten kulturellen Anlässe in Zeiten von Corona schwer haben, kommen die Zuger Orgeltage glimpflich davon. «Da wir in Kirchen spielen, ist in der Regel genügend Platz vorhanden, selbst wenn wir jede zweite Bank leer lassen. Und wenn nun einer der Gäste aufgrund der Pandemie nicht einreisen kann? «Dann suche ich eigenständig einen Ersatz. In solchen Fällen kommt es mir gelegen, dass ich über ein sehr grosses Netzwerk verfüge. So musste ich etwa für das kommende Konzert in Oberwil einen neuen Solisten suchen, weil Gail Archer aus New York pandemiebedingt kurzfristig absagte.»
Bei dem Elan, den Eisenmann an den Tag legt, würde es nicht erstaunen, wenn der heute 80-Jährige in zwölf Jahren auch die 50. Jubiläumsausgabe des Festivals organisierte.

(Autorin: Valeria Wieser)

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