20 Jahre Räubergeschichten

Musik

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Wie bitte? Ganze 20 Jahre alt wird das feine Festival am Waldrand. Mittlerweile hat das Waldstock ganze Dynastien von Helferfamilien hervorgebracht. Eine Anfängerin und zwei alte Hasen erzählen.

  • So sieht das heute aus am Waldstock. Respektive letztes Jahr. (Bild: PD)
    So sieht das heute aus am Waldstock. Respektive letztes Jahr. (Bild: PD)
  • So wars damals, 2001. Auch ein bisschen verpixelt, weil schon lange her. (Bild: PG)
    So wars damals, 2001. Auch ein bisschen verpixelt, weil schon lange her. (Bild: PG)

Steinhausen – Dieser Text ist in der Juli/August-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen (#61). Hier gehts zu den anderen Artikeln.

Ein rotes Waldstock-T-Shirt taucht zwischen den Passanten auf, gleich danach ein grünes – Urs Lang und Andrina Staub sind leicht zu finden am Treffpunkt in Zug. Der Mitgründer des Festivals und das aktuelle OK-Mitglied. Gemeinsam mit Stefan von Moos aka Tschappo setzen wir uns auf die Wiese der Männerbadi, um auf 20 Jahre Waldstock zurückzuschauen.
Das Open Air in Steinhausen, welchem alle drei seit Jahren, gar Jahrzehnten, verbunden sind, ist im Kanton legendär und ein fixer Punkt in der Sommerplanung Hunderter Helfer- und Tausender Besucherinnen.

Familien- und Freundschaftsdynastien
Die 27-jährige Andrina Staub ist seit drei Jahren im Organisationskomitee des Steinhauser Waldstock-Festivals. Urs Lang war 20 Jahre alt, genauso wie Tschappo, als sie das Festival erstmals auf die Beine stellten. Schnell wird klar, die drei kennen sich seit Ewigkeiten.
Andrina Staub: «Für viele ist der Kollegenkreis und das Waldstock-Team zu grossen Teilen deckungsgleich.»
Urs Lang: «Das ist ein Plus des Waldstock. Helfer werden zu Freunden und umgekehrt.»
Tschappo: «Andrina zum Beispiel ist Teil einer ganze Familiendynastie von Waldstock-Organisatoren und -Organisatorinnen.»

Bei der Gründung des Open Airs hätten sich viele aus der Pfadi engagiert. Später kam die Jungwacht Steinhausen dazu.
Tschappo: «Daraus entsteht oft der Nachwuchs des Waldstock. Sie hören mit der Jungwacht auf und brauchen ein neues Hobby.» (Lacht.)
Andrina Staub: «Und mittlerweile sind es Massen an Leuten, die freiwillig mit aufbauen.»
Urs Lang: «Viele sind ein paar Jahre als Helfer dabei, übernehmen dann eigene Projekte und rutschen irgendwann ins OK nach.»

Ein bisschen Helfen liegt immer drin
Man könne nicht abstreiten, dass der Waldstock-Verein einen verschworenen Eindruck machen kann. Doch Anschluss zu finden, scheint bei dieser Truppe nicht schwer. Immer wieder würden ganz neue Leute auftauchen, sie werden Teil davon, so Tschappo. Und einige aus der älteren Garde sind offensichtlich nach zwanzig Jahren noch immer nicht müde.
Urs Lang: «Ich helfe ja eigentlich nicht mehr wirklich mit. Bloss ein paar Tage beim Aufbau.»
Tschappo: «Ich ja auch. Seit etwa zwei Jahren bin ich nur noch sehr reduziert dabei.»
Andrina Staub: «Er ist im Vorstand.» (Gelächter.)
Tschappo: «Ja schon. Und ein bisschen Helfen beim Auf- und Abbau liegt schon auch immer drin. Man kann es wohl eben doch nicht ganz bleiben lassen.»
Wer aktiv dabei ist beim Waldstock, der verbringt teilweise zwei bis drei Wochen auf dem Gelände. Es sind zahlreiche Helfer/innen, die vom ersten Aufbautag bis zum Ende nur selten vom Waldrand nach Steinhausen herunterkommen. Für viele seien Aufbau und Open Air wie Ferien, ausgeklinkt aus dem Alltag. Ein Paralleluniversum. Dieses Universum noch immer zu unterstützen, sei ihnen wichtig, auch wenn Jüngere die Verantwortung übernehmen, so Lang und von Moos.
Urs Lang: «Klar, es ist über die Jahre grösser und professioneller geworden, aber es ist das Waldstock geblieben. Der Spirit ist derselbe.»
Bei der ersten, halböffentlichen Ausgabe im Jahr 1999 seien etwa 150 Leute gekommen. Rund 1500 Leute werden dieses Jahr pro Abend erwartet. Doch auch die erste Version von 1999 war ein grosser Brocken – alles musste erstmalig gedacht und gemacht werden.

Chaos und Improvisationen
Diese ersten Arbeiten und Improvisationen werden im Jubiläumsjahr 2019 am zusätzlichen Mittwochabend symbolisch gewürdigt. Genauer gesagt geht es um den ersten Act des Waldstock überhaupt. Eine peruanische Strassenband hatte diese Ehre – ziemlich spontan hatte man sie auf dem Landsgemeindeplatz aufgegabelt. Doch eine Stunde vor deren Auftritt am Festival fiel den Organisatorinnen/Organisatoren auf, dass sie für die Band gar nicht an eine Bühne gedacht hatten. Kurzerhand wurde also ein ­Traktoranhänger auf den Platz gezogen. Am Jubiläumsabend 2019 feiert diese Bühne ihr Comeback. Als Hommage an den Anfang. Den wilden Anfang.
Tschappo: «Alles in allem waren wir damals eine ziemliche Chaotentruppe.»
Urs Lang: «Wir hatten kein Geld und von vielem auch schlicht keine Ahnung.»

Rockige Versuche
Auch vom Booking nicht, das erst später durch Patrik Pauli eingeführt und anschliessend von Beno Staub übernommen wurde. Das Programm des Waldstock ist für ein Open Air selten abwechslungsreich und soll für alle etwas bieten: Komik, Akrobatik, stets Film und Musik aus allen Sparten und Orten. Diese Vielseitigkeit des Waldstock zeige sich dementsprechend auch bei den Gästen. Ein Fest für Jung und Alt, für die Steinhauser/innen, für den ganzen Kanton – mittlerweile mit Ausstrahlung über die Kantonsgrenzen hinaus.
Es hat Zeiten gegeben, da wollte sich das Festival etwas rockiger ausrichten. Schnell jedoch war klar, dass genau die Vielseitigkeit für den Ort, das Publikum und den Verein die richtige Wahl ist. Nach den grossen Acts sucht man auch deshalb bei diesem Open Air vergebens. Der ­Headliner hier ist keine Band.
Urs Lang: «Das Waldstock ist sein eigener Headliner. Wir brauchen keine Welt-Acts mit horrenden Gagen.»
Tschappo: «Es sind vor allem auch die Bauten, die Kreativität, die das Publikum anlocken. Das ist einzigartig am Waldstock. Und die Helfenden lieben es, zu motoren, zu sägen und basteln. Es sind unfassbare Bauprojekte und Dekorationen, an welchen teilweise tagelang intensiv gearbeitet wird.»
Urs Lang: «Keine Fertigbauten, das war von Beginn klar.»
Tschappo: «Wir wollten keine Logoschlachten in Fertigzelten, dazwischen ein paar Bierzapfhähne wie bei jeder Hundsverlocheten.»

Verwandlung in eine Materialschlacht
Im ersten Jahr waren es an Baumaterial bloss ein Zelt, ein Schwartenbund und 50 Schallta-
feln – heute sind es deren 450. Das Waldstock heute ist eine Materialschlacht mit Liebe zum Detail. Und genauso, wie die Anzahl Bauten gewachsen ist, tat es auch der Verein. 450 Freiwillige sind in diesem Jahr für das Open Air auf dem Platz im Einsatz. All diese Helfer/innen und auch alle OK-Mitglieder verrichten ihre Arbeit auf Freiwilligenbasis. Das gesamte Open Air funktioniert ohne eine einzige Festanstellung.
Dass es das Waldstock im Gegensatz zu vielen anderen kleinen Festivals, denen irgendwann der Nachwuchs fehlte, noch immer gibt – das habe sicher damit zu tun, glauben die drei. Mit den motivierten und zahlreichen Helfern und auch mit etwas Glück: Keine Unwetter, keine längeren Regenphasen haben über die Jahre ein Loch in die Kasse gerissen.

Pleiten, Pech und Pannen
Wenn wir über Highlights sprechen wollen, dann fallen vor allem «Räuberpistolen-Geschichten», wie sie Tschappo nennt. Von Stromausfällen, Schlammschlachten, von einem Unfall mit einem vollen Chriesi-Fass erzählen sie unter Gelächter. Hart auf hart kam es nie, die kleinen Dramen damals sind die besten Anekdoten heute. Und sie haben noch haufenweise auf Lager. Davon, wie die Bandmitglieder der Tarantinos die gesamte Hotelbar leerten und das Hotel sich verzweifelt beim OK meldete. Andere Bands, und davon nicht wenige, seien nach ihrem Auftritt oft noch Tage hängen geblieben.

Urs Lang: «Aber das eigentliche Highlight ist ja, dass das Festival nach zwanzig Jahren noch immer existiert.»
Andrina Staub: «Und die Gemeinschaft. Das Zusammensitzen am Feuer nach den Aufbautagen und das Feiern beim jeweils letzten Konzert des Open Airs.»

Text: Jana Avanzini