Ferien in Wohlen

Kunst & Baukultur

,

Flambierte Kebabs, flamboyante Einheimische und ein mystisches Erlebnis mit Toyota. Zwei Zuger Kunstschaffende haben für uns erprobt, was das bedeutet: Ferien in der Schweiz.

  • Severin badet in der Bünz. Bilder: Hoffnung + Kiwi
    Severin badet in der Bünz. Bilder: Hoffnung + Kiwi
  • Severin lernt flambieren.
    Severin lernt flambieren.
  • Dorfbewohner haben den Bus von Hoffnung + Kiwi mit Blumen geschmückt. So sind sie, die Menschen auf dem Land.
    Dorfbewohner haben den Bus von Hoffnung + Kiwi mit Blumen geschmückt. So sind sie, die Menschen auf dem Land.
  • Severin war im Strohmuseum.
    Severin war im Strohmuseum.
Zug (Kanton) – Dieser Text von Hoffnung + Kiwi ist in der Juni-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Aus den Sommerferien im Ausland wird in diesem Jahr wahrscheinlich nichts mehr. Die Schweizerinnen und Schweizer machen heuer Urlaub in der Heimat. Für einige wird dies eine ganz neue Erfahrung. Und nicht wenige sind skeptisch, ob im eigenen Land überhaupt Feriengefühle aufkommen können. Wir als Hoffnung+Kiwi halten gerne fest: Ferien in der Schweiz können abenteuerlich und grossartig sein! Und wir wären uns nur halb so sicher, wenn wir es nicht tatsächlich selbst erlebt hätten.

So trugen wir an einem heissen Sommertag unsere Koffer in das Hotel Sternen in der Gemeinde Wohlen AG. Dass wir nach fünf Tagen nebst den Koffern auch eine Familienpackung Geschichten mit nach Hause nahmen, war eine angenehme Überraschung. In etwa so angenehm wie die Begegnung mit Beatrice. Wir lernten ihn am zweiten Tag nach unserer Ankunft in Wohlen kennen. Und erlebten mit ihm eine Geschichte, die wir heute noch gerne mit unseren Freunden teilen.

Der Beatrice kam pünktlich. Es war 10.00 Uhr und wir frühstückten gerade. Im Hotel Sternen herrschte angenehme Ruhe. Und so hörten wir den 75-Jährigen bereits bevor er unser Separee betrat. Er schien mit seinen Schuhen im Gang einen Countdown zu stampfen. Wir wussten, das wäre nicht übertrieben. Schliesslich vermuteten wir heute grosses Kino. Mit bester Besetzung in der Hauptrolle. Damit meinten wir nicht uns. Sondern den Beatrice, der nun im Tür­rahmen stand und uns einen guten Morgen wünschte. Gestern hatten wir ihn kennen gelernt. Auf dem Parkplatz, als er neben uns parkiert hatte. Das Leben hat viele kleine Überraschungen parat. Eine davon war der Beatrice. So einen sieht man selbst in Zürich selten, würde unser Freund Milenko aus dem Kreis Chaib sagen. Ein Pensionär, der mir Frauenklamotten aus einem weissen Toyota steigt. Das war etwas Besonderes.

Gestern hatte er einen schwarzen Rock getragen. Heute trug er einen blauen Jupe. Eine schwarze Perlenkette. Ein gepunktetes Oberteil. Eine Netzstrumpfhose. Und Stöggelischuhe. Er lächelte. Wir baten unseren Gast, sich zu setzen. Er bestellte sich einen Kaffee. Espresso. Und dazu noch eine Landkarte von Wohlen. Die brauche er, sonst würden wir ihn nicht finden. Diesen Stein im Wald. Kein gewöhnlicher Stein. Er wolle uns heute den sagenumwobenen Erdmandlistei zeigen. Das berühmte Wahrzeichen von Wohlen.

Der Espresso kam. Die Karte auch. Beatrice breitete sie aus. Drehte sie mehrmals. So eine Karte sei eben kompliziert, meinte er. Das sei nicht wie in diesem schwarzen Grätli, bei dem man nur drücken müsse. Da musst du die Schulen gemacht haben. Kartenlesen muss gelernt sein. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er die Karte. Und wir machten es ihm gleich und kamen uns dabei vor wie zwei ahnungslose Schulbuben. Nach einer Weile tippte er dreimal mit seinem Finger auf die Karte. Da. Da sei er, der Erdmandlistei. Das sei nicht weit von hier. In den grossen Wald müssen wir gehen. Entweder mit der Bahn oder mit dem Auto. Wir überlegten.

Gerne würde er uns mit seinem Auto chauffieren, kam uns der Beatrice zuvor. Wir bezahlten. Und standen wenig später vor dem weissen Toyota. Ein in die Jahre gekommenes, sportliches Modell. Wir machten noch drei Fotos. Dann setzten wir uns in den Karren und fuhren los. Der Beatrice gestaltete die Fahrt kurzweilig. Er erzählte uns seine Lebensgeschichte im Eiltempo. Von seiner lieben Frau, die vor sieben Jahren verstorben war. Von seinen fünf Kindern. Dem Leben als Bauer. Und wie es sich anfühlt, als Mann Frauenklamotten zu tragen. Als wir auf den Wald zufuhren, verlangsamte er das Tempo. Dann hielt er an. Da stand ein Schild.
Fahrverbot.

Dann gab es ein Grüezi
Auf das Anbringen der Tafel hätte wohl verzichtet werden können. Der weiterführende Weg lud nicht zur Durchfahrt ein. Das war ein Forstweg. Etwas für einen Offroader. So eine übergrosse Dreckschleuder, die zwischen glattem Asphalt und herumliegenden Baumstämmen keinen Unterschied macht. Der Beatrice machte im Leben auch keine Unterschiede. Nicht zwischen fremden und bekannten Leuten. Und nicht zwischen einem Offroader und seinem Toyota. Mein Auto ist ein Traktor, hielt er laut fest. Es hörte sich an wie eine Kampfansage. Er drückte aufs Pedal und fuhr den weissen Klapf in den Wald. Es holperte gewaltig. Zweimal mussten wir aussteigen und Baumstämme aus dem Weg räumen. Zweimal blieb der Beatrice im Wagen sitzen. Er gab die Anweisungen. Der Beatrice strahlte. Und wir lachten.

So eine Fahrt war nichts Alltägliches. Wir fuhren tiefer in den Wald. Nach einer Weile hielt der weisse Toyota auf einer Waldlichtung. Wir stiegen aus. Und grüssten das ältere Ehepaar mit den beiden Kindern. Vermutlich ein Enkelausflug. In die Idylle. Sie waren gerade beim Picknick. Gut ausgerüstet. Mit Wanderstöcken. Und Wanderschuhen. Die schienen weder mit der Bahn noch mit dem Auto gekommen zu sein. Die beiden älteren Semester musterten erst den weissen Karren. Dann den Beatrice. Und schliesslich uns. Dann gab es ein Grüezi. Grüezi. Sagten wir nochmals. Wir folgten dem Beatrice auf den kleinen Hügel auf der Lichtung. Das ist er, der Erdmandlistei, sagte unser Chauffeur und zeigte auf den Steinhaufen vor uns. Das war schon beeindruckend. Da lag ein gigantischer Stein auf zwei weniger grossen Steinen. Seit Jahrhunderten liegen diese Steine so, führte der Beatrice aus. Dazu gibt es eine Sage, erklärte er.

Die Sage
Ihr müsst die Luft anhalten. Und den Erdmandlistei dabei sieben Mal umrunden. Dann kommen die Erdmandli wieder zurück, sagte der Beatrice. Das sei so eine Erzählung. Wir nahmen die Herausforderung an. Wir holten tief Luft. Und dann. Eine Runde. Zwei Runden. Drei Runden. Schwindel. Vier Runden. Stopp. Wir holten wieder Luft. Hast du es auch schon probiert?, fragten wir den Beatrice. Er lachte. Als Kind. Da habe ich das Mal gemacht. Dann nahm er tief Luft. Und rannte los. Der Beatrice rannte. Eine Runde. Zwei Runden. Dritte Runde. Eine vierte. Die fünfte. Gofferdeckel. Der war schnell. Der schien über den Waldboden zu fliegen wie ein Superheld aus diesen Comic-Heftlis. Und dann. Dann blieb er mit dem linken Stöggelischuh im Waldboden stecken. Und taumelte. Wir sahen ihn vor unserem inneren Auge stürzen. Und wam. Auf den Waldboden aufprallen.

Der Beatrice stürzte nicht. Der Beatrice rammte den zweiten Stöggelischuh in den Boden. Er sprang in einem Satz aus beiden Schuhen und rannte weiter. Es war die sechste Runde. Und die siebte. Wir jubelten. Der Beatrice hatte es geschafft. Wir eilten auf ihn zu. Wir nahmen ihn auf unsere Schultern. Hoch soll er leben. Der Beatrice lachte. Und schien vor Glück erfüllt. Wir waren es auch. Es wurden Fotos gemacht. Dann stiegen wir in den weissen Toyota und fuhren los. Vor lauter Aufregung hatten wir vergessen zu schauen. Ob sie denn gekommen waren. Die Erdmandli. Nach den sieben Runden von dem Beatrice. Wir gingen nicht mehr zurück. Sondern waren uns der Sache sicher.

So war das also
Die Zeit in Wohlen ist wie im Flug vergangen. Wir haben neue Bekanntschaften geknüpft, auf einem frisierten Töffli posiert, mit den Kleidern in der Bünz gebadet, gelernt zu flambieren und herausgefunden, warum Strohhüte sehr teuer sein können. Vor allem aber haben wir gemerkt, wie schön Ferien an einem unscheinbaren Ort in der Schweiz sein können.