Kulturförderung ist lebenswichtig

Dies & Das, Literatur & Gesellschaft, Musik

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Der Job: Geld verteilen. An Künstlerinnen und Kulturschaffende. So schwierig kann das ja nicht sein. Könnte man meinen. Warum machen wir das überhaupt?

  • Werk aus der Serie "Manhattan Project" von Jonas Burkhalter: Cherry Blossom and Pell Street, Manhattan, 2019
    Werk aus der Serie "Manhattan Project" von Jonas Burkhalter: Cherry Blossom and Pell Street, Manhattan, 2019
Zug – Dieser Artikel ist in der Januar/Februar-Ausgabe 2020 des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Am Anfang ward das Gesetz. Könnte man sagen. Das Gesetz über die Förderung des kulturellen Lebens, gestützt auf § 41 Abs. 1 Bst. b der Kantonsverfassung.
Zug erliess es im März 1965 als erster Kanton der Schweiz. «Es hört sich jetzt vielleicht etwas reaktionär an und typisch beamtisch, aber demgemäss handeln wir und ohne es gäbe es uns nicht», sagt Aldo Caviezel, Leiter des kantonalen Amtes für Kultur, zu Beginn unseres Gesprächs. Und mit dem laminierten Stück Gesetz setzt er sich zurück an den runden Tisch in seinem Büro an der Baarerstrasse 19. Hier beginnt der Ausflug in die Welt der Künste – in Form von Gesuchen, Dossiers, Vereinbarungen und Förderrichtlinien.
Ja, es ist schon klar, wirklich sexy scheinen diese Themen im ersten Moment nicht. So empfand ich es jedenfalls, musste ich mich für ein Theaterprojekt mit den Richtlinien und Online-Masken für Beitragsgesuche herumplagen. Für jeden Kanton, für jede Stiftung gelten andere Regeln. Man hätte ein Dossier für die Planung der Dossier-Eingaben erstellen können – ohne Übertreibung. Doch betrachtet man die Kulturförderung von der beamtischen Seite, fügen sich Richtlinien, Dossiers und Budgetplanungen plötzlich zu Bildern zusammen. Am Ende des Gesprächs mit Caviezel und Corinne Wegmüller, den Köpfen der Zuger Kulturförderung jedenfalls, will mein Aufnahmegerät nicht mehr anhalten. Und trotz des hehren Ziels einer «Kulturförderung für Dummies» werden wir abschweifen – in weit spannendere Gefilde als die Lotteriegelder-Aufteilung und Kommissionszusammensetzung.

Wirtschaftlichkeit und Missbrauch der Kunst
Am Anfang ward die Kirche – noch vor dem Gesetz – die kümmerte sich um die Kunst, bevor der Bund in den 1890er-Jahren mit der Kunstförderung begann. Die Kantone setzten damals mit ihren eigenen Armeen und Währungen noch ­andere Prioritäten. Doch bald kamen mit der ­Industrialisierung erste Firmen hinzu, die ihren Arbeitern sinnvolle und bildende Freizeitangebote schufen – selbstverständlich nicht komplett uneigennützig. Volksheime, Bibliotheken, Theater- und Sportvereine sollten die Angestellten vom selbstgebrauten Kartoffelschnaps fernhalten. So wurde auch die 211-jährige Zuger Theatergesellschaft von bürgerlichen Patrons gegründet. Zu mehr Verantwortung für Kantone und Gemeinden in der Kulturförderung kam es nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges und der Gefahr des Missbrauchs der Künste im Namen c der Politik. Und seit der Gesetzgebung 1965 entwickelt sich die Kulturförderung schliesslich vom «Auftrag an die einheimischen Künstlerinnen und Künstler» hin zu einem breiteren Kulturbegriff. Einer, der Kunst für alle will, der Gesellschaftsentwicklungen, Konklusion und die Identität des Kantons und der Bevölkerung immer mit meint. So wird es intelligent und formschön formuliert.

Gemeint ist damit die Vereinsförderung, die Unterstützung von Projekten, die nicht nur künstlerische Relevanz haben, sondern auch inhaltliche Diskurse in der Gesellschaft auslösen wollen und sollen. «Es geht um eine Auseinandersetzung mit sich selbst, der Umwelt, es geht um Provokation und darum die Leute zur Reflexion zu bewegen», so Aldo Caviezel.

Das betont auch Komponistin Mela Meierhans, die im Jahr 1997 den Förderpreis des Kantons Zug erhielt. Die gebürtige Zugerin plädiert für ­Diversität in der Vergabe von Geldern. «Vor allem wenn es unbequeme Kunst ist, die gefördert wird.» Für ihr Schaffen war die staatliche Kulturförderung unerlässlich. Viele Musiktheater und grössere Projekte hätten sonst schlichtweg nicht umgesetzt werden können. Heute ist Meierhans in Berlin und Brandenburg zu Hause, sie komponiert für die Basler Sinfonietta, MaerzMusik Berlin oder The Roosevelt Ensemble Washington.

Von Innovation und Inspiration
Natürlich könne man die Förderung von Hochkultur in Frage stellen, «doch damit ignorieren wird die Relevanz von Innovation», sagt Corinne Wegmüller. Gerade die sogenannte Spitzenförderung von experimenteller Musik oder bildender Kunst sei dafür massgebend. «Wir unterstützen Kunstschaffende darin, Experimente zu wagen, eigene (Bild-)Sprachen, eigene Sounds zu entwickeln und diese einem Publikum zugänglich zu machen», so Wegmüller. Damit fördere man Innovation, die sich schliesslich in der Kreativwirtschaft oder auch in der Kunst auf kommerzieller Ebene, im Kino oder den Charts übertrage.
«Das Design eines Autos, von Mode, oder gar ein Werbe-Jingle – die Inspiration für Neues entsteht nicht in den Fabriken. Sie sickert von der Kunst oft unbemerkt in unseren Alltag.» So würden in den Künsten oft auch Themen ­gesetzt, die dann medial aufgegriffen, in Politik und Bevölkerung diskutiert werden und schliesslich zu Veränderungen in der Gesellschaft führen. Aldo Caviezel ergänzt: «Wollen wir eine lernwillige, offene Gesellschaft und wollen wir Meinungsfreiheit, gerade in einem Kanton mit 130 Nationen, müssen wir dafür auch etwas tun.»

Künstler fördern oder Sachbearbeiter?
Die Arbeit der Kulturförderung im Kanton Zug beinhaltet, im Gegensatz zu einigen anderen Kantonen, nicht nur eine Beratung der Kulturkommission, sondern auch eine starke Unterstützung der Kulturschaffenden. Sie verhandeln mit Institutionen, fragen nach, gehen vorbei, vermitteln, erarbeiten Strategien gemeinsam mit den Institutionen – und sie lehren: «Wir prüfen Dossiers auf Vollständigkeit, Schlüssigkeit, auf die Beitragsberechtigung und geben Empfehlungen an die Kommission ab», erklärt Corinne Wegmüller die Arbeit im Gesuchswesen.

Oft geht der Empfehlung an die Kulturkommission jedoch ein Nachhaken bei den Kulturschaffenden voraus, eine Unterstützung bei der Gesuchseingabe. Natürlich sei es einfach, am langen Hebel der Fördernden über mangelhafte Dossiers zu schnöden. «Doch wollen wir Künstler fördern oder Sachbearbeiter?», so Wegmüller zu ihrer Hilfestellung im Dossier-Dschungel. Es sei eine nachhaltige Arbeit, die sich für viele Kulturschaffende schliesslich auch bei Eingaben in anderen Kantonen oder bei Stiftungen bezahlt mache, erklärt sie und ich wünschte mir in dem Moment, wir hätten uns schon ein paar Jahre früher getroffen.

Auch für die Zuger Pianistin und Komponistin Laura Livers, die sich selten in kommerziellen Stilen bewegt, sind die staatlichen Fördergefässe nicht nur aus finanzieller Sicht wichtig. Auch als Anlaufstelle für Informationen, Kontakte und Feedbacks. Der «grösste Batzen» für Livers war das Zentralschweizer Atelier in New York, in welchem sie, ohne Vorgaben und ohne Erwartungshaltung die Möglichkeit hatte, sich voll in ihre Musik zu vertiefen. «Haufenweise, stundenlang, exzessiv, obsessiv.  Ich habe mich als eigenständige Künstlerin weiterentwickelt, habe Zuger Künstler in meinem Gästezimmer gehostet und Kontakte weitergereicht.» Sie sei eine Künstlerin geworden, die ohne das Vertrauen des Zuger Amtes für Kultur so nicht existieren würde. «Werten muss man dies nicht, es ist halt eine Tatsache.»

Von Solidarität und Parteipolitik
«Geld verteilen» als Beruf hört sich erst mal super an. Und super einfach. Doch das Gegenteil ist der Fall, stehen doch hinter den Glücklichen auch immer solche, die das Geld, das Atelier, den Förderpreis nicht bekommen haben. So hat – vieldiskutiert – die Vergabe eines Atelierstipendiums durch die Stadt kürzlich für Aufsehen und medialen Rummel gesorgt und politische Diskussionen losgetreten.

Es sei aber gerade in kleinen Kantonen mehr als normal, dass man an in den Fördergremien mit mehreren «Hüten» auf dem Kopf am Tisch sitze, so Caviezel. Man kennt sich, hat zusammengearbeitet, teilt sich Atelier oder Stammkneipe mit Gesuchstellern. Das sei grundsätzlich auch kein Problem, wenn man mit objektiven Richtlinien, fachlichen Argumenten, politischem Gewissen und einem Feingefühl und Bewusstsein dafür arbeitet, sich dafür in der Öffentlichkeit schlüssig rechtfertigen zu können, so Caviezel. Auch in anderen Gremien und Kommissionen wurden durch die Diskussionen in Zug die eigenen Regeln hinterfragt.

Es sei absolut legitim, bestehende Vorgehensweisen zu überdenken, sogar lobenswert, denn ein Staat, der sich nicht hinterfrage, werde unweigerlich korrupt, sagt auch Laura Livers. «Es gilt dabei aber immer, das grosse Ganze im Auge zu behalten, und ganz bestimmt nicht, Parteipolitik damit zu betreiben.» Denn wie auch die Kulturförderung diene der Politiker in erster ­Linie der Gesellschaft, so Livers. «Nicht seinen Kollegen und schon gar nicht seinem eigenen Portemonnaie.» Die Kunst – mit all ihren Facetten – sei kein Wirtschaftsunternehmen. «Ihre Aufgabe ist es, kulturelle Bedürfnisse abzudecken: Neues, Altes, für Kinder, für Senioren, Nischensparten, progressiv, konservativ. Es muss für jeden etwas dabei sein.» Kunst nicht nur für die grosse Masse, sondern auch für Minder­heiten. «Das ist das Solidaritätsprinzip in der Schweiz, in der Krankenkasse, im Rentenfonds, und aber auch im Kulturleben», so Livers.

Fördern mit mehr Risiko
Die Diskussionen um die Ateliervergabe der Stadt Zug betrifft das Amt für Kultur des Kantons nicht direkt. Trotzdem bemüht sich das c Team auch hier um mehr Aufklärungsarbeit. Mit einem Anlass namens Kulturgipfel Anfang Dezember zum Beispiel, bei welchem Patrizia Keller für mehr Risiko in der Kulturförderung plädierte. Die Kuratorin des Nidwaldner Museums schrieb ihre Doktorarbeit zur Kunstförderung in der Schweiz seit 1980 und mit «mehr Risiko» spielt Keller auf den heutigen Trend an, bereits zu wissen, was herauskommen soll, bevor man mit der künstlerischen Auseinandersetzung überhaupt erst begonnen hat. Das Bild vom brotlosen, tüchtigen Künstler hat sich ins Bild vom erfolgreichen und genialen Kunstschaffenden gewandelt. Das zeigt sich nicht zuletzt an den unzähligen Preisvergaben. Einen Preis zu vergeben, ist einfacher und weniger risikoreich, als ein in die Zukunft gerichteter Werk- oder Projektbeitrag. Kooperationen zwischen Kultur und Wirtschaft sind sicherlich positiv zu werten. Der in der Wirtschaft übliche Unternehmensjargon dürfe aber nicht blindlings übernommen werden. Auch dürften Rentabilitätsdenken und die Individualförderung für singuläre «Winner» nicht das einzige Spektrum der Förderung sein. Stattdessen wünscht sich Keller, dass die Kulturförderung weiterhin Risiken eingeht – mit Stipendien, mit einer Carte blanche und Freiräumen.

Sponsoring ist immer ein Geschäft
Auch bei der Kulturförderung des Kantons Zug ist man Kellers Meinung. «Sponsoring ist immer ein Geschäft. Staatliche Kulturförderung hingegen will Lebensqualität und Substanz für die Gesellschaft, kein Gegengeschäft», so Caviezel. Stiftungen und Firmen können zudem ganz spezifisch entscheiden, wen sie fördern wollen: nur Geigerinnen mit 300-jährigen Instrumenten zum Beispiel. Beim Gesuchswesen des Staates hingegen muss alles berücksichtigt und geprüft werden, bevor die sogenannte «Giesskanne» zum Einsatz kommt.

Eine Giesskanne, die im Kanton Zug – unglaublicherweise – keinen Deckel hat. Was konkret bedeutet: Die finanziellen Mittel in der Projektförderung sind derzeit unbeschränkt. «Das liegt auch daran, dass wir in Zug kein Haus mit eigenem Ensemble haben, dass wir im berühmten Sandwich zwischen Luzern und Zug stecken», so Caviezel und ergänzt: «Weiter wird die Giesskanne mit den Geldern von Swisslos gefüllt, jenem den Kantonen zustehenden Reingewinn aus den Lottoverkäufen. Dieses Geld steht per Lotteriegesetz unter anderem der Kultur zur Verfügung.» Und darüber sei man nicht unglücklich, ergänzt er: «Wir müssen keine Projekte zurückweisen, weil wir die Mittel nicht haben. Wenn etwas förderungswürdig ist, dann wird es gefördert.»

Gegen innen und gegen aussen
Gefördert wurde auch der Zuger Autor Silvano Cerutti durch die Kulturförderung des Kantons Zug besonders zu Beginn seiner Karriere – eine wichtige Anschubfinanzierung. «Besonders wenn der eigene Name noch unbekannt ist, bestätigt eine staatliche Förderung die Qualität – gegen aussen und innen», so Cerutti. Derzeit verzichtet der Schriftsteller jedoch auf Eingaben. Denn auf lange Sicht könne es auch gefährlich sein, sich auf Gelder aus der Förderung zu verlassen. «Es ist ein Riesenluxus, den wir Kunst- und Kulturschaffende in der Schweiz durch die Kulturförderung geniessen. Doch man muss auch den Umgang damit lernen.» Auch auf Seiten der Fördernden sieht Cerutti Tendenzen, die er kritisiert. Besonders, wenn die Professionalisierung von Künstlerinnen und Künstlern stärker gewichtet werde als der Inhalt.
Damit schliesst sich der Kreis – und sowohl am Tisch im Amt für Kultur wie auch in Berlin und Nidwalden könnte man zum Schluss in den gemeinsamen Slogan «Mehr Risiko» einstimmen.

(Text: Jana Avanzini)