An den Rändern der Wahrheit

Literatur & Gesellschaft, Theater & Tanz

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Michael Elsener war auf einer einsamen Insel. Nach der Trennung. Und hat dort sein Gehirn explodieren lassen.

  • Freut sich auf sein Publikum: Michael Elsener. (Bild: Philippe Hubler)
    Freut sich auf sein Publikum: Michael Elsener. (Bild: Philippe Hubler)
Zug – Dieser Artikel ist in der September-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Braun gebrannt sitzt er im Café, wie direkt aus den Ferien. Kommt er auch. «Zwangsferien», sagt Michael Elsener, seine Auftritte wurden von Covid-19 genauso stillgelegt wie der Rest der Kulturlandschaft. «Zuerst habe ich leer geschluckt, aber dann habe ich gemerkt: Ich habe richtig viel Zeit, um ein neues Programm zu schreiben.» Er hat seine Ferien genutzt. Und kurzerhand sein neustes Programm aus dem Boden gestampft. Er hat wochenlang daran gefeilt. Und weitergefeilt. Und dann mit Sandpapier den letzten Schliff draufgebracht. Mit Spucke noch etwas weiterpoliert. «Das war eine schöne Arbeit, all die Ideen der letzten Jahre zu sammeln und auszuprobieren, Charaktere zu schärfen, in deren Welt einzutauchen», sagt Elsener. Jeden Morgen früh aus den Federn, um dem Tag ein paar hitzefreie Stunden abzuringen. «Wenn wir auf Tour sind, beginnt der Tag spät und hört noch später wieder auf. Deshalb habe ich diese Morgen sehr genossen.»

Harte Trennung
Sieht so einer aus, der noch vor einem halben Jahr Schlagzeilen damit machte, dass seine Sendung vom grössten Sender des Landes über Nacht abgesetzt wurde? Einer, der vom Tagi als «John Oliver der Schweiz» gehandelt wurde und jetzt wieder auf sich selber zurückgeworfen ist? So selbstbestimmt und entspannt haben wir Elsener schon länger nicht mehr gesehen. Die Trennung sei hart gewesen, sagt er. «Es ist, wie wenn jemand eine Beziehung einseitig beendet. Ich hatte schon damit zu kämpfen.» Überlegt kurz und ergänzt lachend: «Nur dass die Beziehung schon vor der Trennung etwas schwierig war. Die Arbeit war wunderbar: In einer Woche satirisch einfach das Beste aus dem zu machen, was in den Nachrichten zur Verfügung stand. Aber die Vorgaben wurden immer enger, man fing an, mir Witze über politische Parteien auszureden, aus Angst vor Konsequenzen. Schlussendlich musste ich auf dem Bildschirm eine Version von mir sein, die mit meiner ursprünglichen Idee nicht mehr viel zu tun hatte – und natürlich hatten die Zuschauerinnen und Zuschauer das Gefühl, das ist der Elsener. Das hat mich schon auch ausgezehrt.» Kurz vor dem Ende habe man ihm noch versichert, dass es eine zweite Staffel geben würde. «Deshalb hatte ich meine Tour für dieses Jahr komplett abgesagt. Kurz darauf kam das Aus, und ich stand vor einem völlig ausgeräumten Jahr.»

Explodierendes Gehirn
Elsener tat damals, was er immer tut: Er warf sich in die Welt hinaus. Landete auf einer Insel im Pazifik, auf der es zwei Palmen und eine Hängematte gab. Liess sich noch weiter hinausfahren auf ein Stück Land, auf dem ein einziger Fischer und eine Population von erschreckend grossen Reptilien in den Tag hinein leben. Elsener beschäftigte sich eine Woche lang damit, dem Aufgang der Sonne zuzuschauen, bis sie wieder unterging. «In dieser Langeweile explodiert das Gehirn vor Kreativität», sagt Elsener und lacht, «es kocht richtig über. Irgendwann habe ich angefangen, mir kreative Lösungen zu diversen Problemen auszudenken – etwa dazu, wie wir all die Nazis wieder loswerden, die gerade überall auf der Welt zutage treten.» In der hintersten Ecke der Welt wuchs in Elsener die Lust auf etwas Neues. Die Kreativität blieb, die Insel wich der eigenen Wohnung und leeren Bühnen, von denen es im Lockdown massenweise gab. Elsener stürzte sich in die Arbeit. Und jetzt ist das zum ersten Mal im Theater Casino Zug zu sehen, das Resultat von weich gekochten Südseetagen, von aufgesogenen Gesellschaftsströmen, von Ideen von jenseits der Bildschirmfläche.

Wenig gesicherte Wahrheit
Elseners Programm «Fake me happy» will sich um die aufgeweichten Ränder der Wahrheit drehen – und darüber, dass es unter ihnen manchmal auch keinen echten, wahren Kern gibt. «Mir wird immer klarer, wie wenig fest gesicherte Wahrheit wir wirklich zur Verfügung haben – und wie viel davon einfach ein Konsens ist. Wann es wichtig ist, die Unwahrheit zu sagen, weil die Wahrheit verheerende Konsequenzen hätte. Und wann es eine Wahrheit schlicht nicht gibt. Ich finde das enorm spannend.» Aber vor allem soll das Programm lustig sein. Damit das mit der Maske im Gesicht auch geht, hat Elsener den Test zu Hause beim Gucken eines Stand-up-Specials auf Netflix gemacht. Man könne damit lachend einen Abend verbringen. «Man vergisst so schnell, dass man sie trägt, dass man sich auch mal versucht, ein Praliné durch die Maske zu schieben.»
Jetzt ist er also nicht mehr der John Oliver der Schweiz. Jetzt ist er der Michael Elsener der Schweiz. Zum Glück. Und freut sich mehr denn je auf sein Publikum. «Dass die Leute kommen, einen Eintritt kaufen und sich darauf freuen, einen Abend lang mit mir zu verbringen, das ist eine so grosse Freude, das ist einfach unglaublich. Immer wieder.»

Hier gehts zur Premiere.


(Text: Falco Meyer)