Die Bilder in der Kirche lassen

Kunst & Baukultur, Film & Multimedia, Brauchtum & Geschichte

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Der Oberwiler Bilderstreit schlug Wellen bis ins ferne Ausland. Ferdinand Gehrs Bilder spalteten Familien. Bis sie verhüllt werden mussten. Nun erscheinen sie dafür umso lebendiger - und reden mit uns.

  • Der Maler konnte seine Bilder mit einem Trick retten.
    Der Maler konnte seine Bilder mit einem Trick retten.
  • Gehrs Figuren erwachen zu neuem Leben. (Bilder PD)
    Gehrs Figuren erwachen zu neuem Leben. (Bilder PD)
Oberwil b. Zug – Dieser Artikel ist in der November-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.

Dass Bruder Klaus zu so heftigem Streit führen würde, hatten sich wohl weder er selber noch der Maler Ferdinand Gehr noch die Oberwiler Kirchenleute gedacht. Dabei hatte alles so gut angefangen. Die Kirche des Architekten Hanns A. Brütsch war gebaut und zwar geradezu verblüffend modern. Nun brauchte es Kunst. Und die hatte es in sich.
Diese Geschichte hier stammt aus einer Zeit, die uns so weit weg erscheint, als stamme sie aus dem Mittelalter. Heute hinterlässt die Wut von religiösen Menschen anderer Kulturen auf bildliche Darstellungen ihrer Propheten und Heiligen bei uns womöglich Unverständnis, vielleicht Mitleid mit der vermeintlichen Naivität, der vermuteten Überidentifikation mit Religion und deren Figuren, vielleicht ein Schulterzucken für eine relative Rückständigkeit in Sachen Säkularisation.

Aber alle Achtung: Kaum 50 Jahre her, war hier gar nichts anders. Damals konnten auch hier in Zug Wandbilder in einer Kirche die Gemüter dermassen erhitzen, dass die Fetzen flogen, Familien sich im Streit spalteten – und schlussendlich Vorhänge aufgehängt werden mussten, damit der Haussegen in der neuen Kirche nicht gleich ganz verloren war. Da hatte ein Maler die Frechheit besessen, heilige Figuren so abstrakt und vereinfacht und farbstark zu malen, dass sie knapp als Kinderzeichnungen durchgehen würden, befand die konservative Kirchgemeinschaft. Weg damit! So die Forderung. Der Oberwiler Kirchenstreit machte dermassen von sich reden, dass offenbar aus aller Welt Medien darüber berichteten. Die «Tagesschau» war mehrfach da. «Menschen fuhren aus der ganzen Schweiz nach Oberwil, um sich diese Bilder ansehen zu können, die zu so viel Streit führten», sagt Daniel Christen. Der Zuger Bühnenbildner und Gestalter hat das Thema aufgenommen – zum bestmöglichen Zeitpunkt. Denn gerade heute geht es wieder um ähnliche Fragen wie damals. Wie gehen wir mit Neuem um? Geben wir uns aufs Dach – oder arbeiten wir zusammen? Wie halten wir die Unsicherheit aus?

Angefangen mit der Faszination
Die Antworten darauf waren damals dieselben wie heute: mit Verhüllung und Vertrauen in
die Anpassungsfähigkeit unserer Mitmenschen. Christen hat den Streit mit einem grossen Team von Experten diverser Disziplinen in das Multimediaspektakel «Verhüllt» verpackt. c
Angefangen hat es mit der Faszination. «Ich war mit meiner Mutter an Weihnachten in der Mitternachtsmesse in der Kirche Bruder Klaus in Oberwil und habe wieder einmal die Bilder von Gehr bewundert», sagt Christen. «Die Klarheit und die Farben, mit denen Gehr die Wände bemalt hat, das ist einfach wunderbar.» Brütsch habe die Kirche für Gehrs Bilder gebaut, er habe dessen Umsetzung antizipiert. «Die Kirche ist ein grosses Zelt aus Beton, in deren Mitte sich die Kinder Gottes treffen können. Die Wände aus Beton kamen den ersten Besuchern der Kirche noch etwas leer vor.» Das sollte sich schnell ändern. Aber dazu später.

Kirchenrat sofort an Bord
Ideen für eine Umsetzung der Geschichte waren schnell da. Christen hat schon früh viel mit Video-Bühnenbildern gearbeitet, und die Bilder von Gehr warten fast darauf, animiert zu werden. Genauso wie die grossen Betonwände der Kirche als Leinwand für Gehr gedacht waren, können sie nun Leinwand sein für die ganze Geschichte rund um die Entstehung der Bilder. «Der Kirchenrat war sofort an Bord, als wir ihm die Idee vorgeschlagen haben», sagt Christen, «die Räte haben sich darauf gefreut und auch tatkräftig mitgeholfen, das Projekt zu realisieren.» Christen wollte die ganze Geschichte abbilden und hat den Zuger Historiker und Autor Michael van Orsouw an die Recherche gesetzt und eine Dramaturgie ausarbeiten lassen. Zusammen haben sie für die Umsetzung des Projekts die IG Kulturspot gegründet. «Michael hat die ganze Geschichte wunderbar präzise aufgearbeitet und in den gesellschaftlichen und historischen Kontext gestellt.»

Christen und sein Team von Grafikern und die Animateure von Studio Piaf haben Gehrs Figuren zum Leben erweckt. Martin Riesen, der sich auf Projektionen und Lichtinstallationen spezialisiert hat, hat das alles zusammengeführt und auf den verschiedenen Wänden und Deckenflächen in Szene gesetzt. Dazu hat der Zuger Komponist Luigi Laveglia Musik geschrieben, die er mit seinen Musikschülern aufführen wird. «Laveglias Musik passt genau auf die Dramaturgie der Vorführung», sagt Christen. «Wir wollten, dass das Ganze ein Live-Element bekommt. Mit Laveglia ist das ein grosser Erfolg geworden – die Musikerinnen und Musiker sind da, mitten in der Kirche, und spielen eine Musik, in der man aufgehen kann.»

Vom Weihrauch bis zur grossen Bedrohung
Gesprochen wird die Geschichte von der Zuger Autorin und Bühnenkünstlerin Judith Stadlin und vom Urner Schauspieler Walter Sigi Arnold als – natürlich – Bruder Klaus. Genau: Der mischt auch mit bei der ganzen Sache. Als Stimme aus dem Off. «Wir wollen die ganze Entwicklung der Ästhetik und Rezeption von Kirchenmalerei aufzeigen, vom Mittelalter bis zum Bilderstreit», sagt Christen. «Wir führen zuerst durch die von Kerzen und Weihrauch geprägte Schwere der Barockzeit, kommen über den Aufbruch im Jugendstil zur grossen Bedrohung durch den Zweiten Weltkrieg bis zu dem Moment, in dem der Maler Gehr das erste Bild erstellt hatte – zum Schrecken der Oberwiler Kirchgemeinde.» Und natürlich geht es da auch um gute Geschichten. Wie Gehr mit einem Trick seine Bilder gerettet hat zum Beispiel. Und wie der Kirchenrat es geschafft hat, die Bilder für die Zukunft zu bewahren. Und auch wie die Oberwiler Familien sich in die Haare geraten sind.
«Ich bin auch aus Oberwil», sagt Christen. «Und das Schöne daran ist, dass die Streithähne von damals nun die Grosseltern von neuen, aufgeschlosseneren Generationen von Oberwilern sind – das böse Blut ist schon lange vergessen.» Trotzdem hat Christen die Namen der Familien in der Vorführung auf ihre Initialen gekürzt. Er lacht und sagt: «Na, die kommen ja auch alle und sehen sich das an. Aber wahrscheinlich wissen sie trotzdem, dass ihre Vorfahren gemeint sind.»

(Autor: Falco Meyer)

Hier gehts zur Veranstaltung «Verhüllt».